"Sichtbar sein"

Mit dem Sichtar-sein beschäftige ich mich in einem Video in der Reihe Sommerimpulse der PTH auf dem YouTube-Kanal der Hochschule. Während des Corona-Lockdowns im Frühjahr war Unsichtbarkeit vorherrschend. Kirchen waren leer und still. Geschlossen. Gottesdienst und Seelsorge verlagerten sich in den virtuellen Raum, das Internet. Zeichen Gottes? Aufruf Gottes? So sieht es der tschechische Religionsphilosoph Tomas Halik. Vorbote einer nahen Zukunft, so fragt er in einem Essay, „dass ein weiteres Kapitel in der Geschichte des Christentums zu Ende geht und es daher notwendig ist, sich auf das nächste vorzubereiten? Statt sich mit künstlichen Ersatzmitteln wie einer virtuellen Frömmigkeit zu behelfen und zu versuchen, vertraute Rituale und Gewohnheiten zu retten?" Halik sieht im Fasten von den Gottesdiensten und dem kirchlichen Betrieb während des Corona-Lockdowns einen kairos, „eine Zeit der Gelegenheit zum Innehalten und zu einem gründlichen Nachdenken vor Gott und mit Gott. Ich bin überzeugt“, so schreibt er, „dass die Zeit gekommen ist, in der man überlegen sollte, wie man auf dem Weg der Reform weitergehen will (…): weder Rückkehr in eine Welt, die es nicht mehr gibt, noch ein Sichverlassen auf bloße äußere Reformen von Strukturen, sondern eine Wende hin zum Kern des Evangeliums, ein ‚Weg in die Tiefe‘“. Auf dem dann eine neue Identität des Christentums sichtbar werden kann. Dazu empfiehlt er „aus dem Schatz der Tradition, die uns anvertraut wurde, sowohl neue als auch alte Sachen“ herauszuholen. 

Ein besonderer Schatz aus der christlichen Tradition ist zweifelsohne der antike Diognetbrief aus dem 2. Jahrhundert. In diesem Brief findet sich der bemerkenswerte Satz, dass die Christen in der Welt sind, ihr Religion aber unsichtbar bleibt. Christinnen und Christen sollen in ihrem Leben und Verhalten als solche erkennbar und sichtbar sein. Religion ist in erster Linie aber Gottesbeziehung und als solche wie Gott selbst unsichtbar. Auf Strukturen, Zeremonien, Gebäude kommt es in der christlichen Religion nicht an. Die Beziehung zu Gott  kann aber nicht unsichtbar oder folgenlos bleiben. Christliche Religion ist für den Diognetbrief nämlich mehr als eine unsichtbare Haltung oder fromme Stimmung. Christinnen und Christen sollen Nachahmer von Gottes Güte werden. Sie sollen mit ihrem Leben und ihrem Verhalten für die Menschen sichtbar und erlebbar machen, wie Gott ist und was er eigentlich will.

Diese Gedanken des Diognetbriefs weisen auf den Kern christlicher Religion und zeigen, dass es höchste Zeit ist für eine neue Art von Sichtbar-sein.  An der Seite derer, deren Existenz bedroht ist, die leiden, die sterben. An der Seite derer, die suchen, die zweifeln, die nach Gott fragen. Das macht den Kern des Christentums aus. Menschen mit Gott in Berührung zu bringen, der Leben in Fülle für seine Ge-schöpfe will. In der Corona-Pandemie wurde und wird die Präsenz solcher Christinnen und Christen und einer solchen Kirche übrigens nicht selten schmerzlich vermisst und beklagt.

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