Woher kommt das Böse?

"Gott sah, dass es gut war" - so ist auf der ersten Seite der Bibel zu lesen. "Gott sah, dass es gut war", das steht am Ende jedes Schöpfungstages. Aber wenn Gott gut ist und alles gut erschaffen hat - woher kommt dann das Böse?

Die Frage nach der Herkunft des Bösen haben Menschen schon sehr oft gestellt – mit ganz unterschiedlichen und vielfältigen Antworten. Bei einer Seminarveranstaltung für das KAB Bildungswerk Münster interessierte uns vor allem, wie Gläubige in ihrer Gottesbeziehung mit der Frage nach dem Bösen umgehen können. Hilft die klassische Antwort auf die Theodizee-Frage von Gottfried Wilhelm Leibniz, Gott habe die beste aller möglichen Welten geschaffen, aber keine vollkommene, wirklich weiter? Menschen, die unverschuldet Opfer von Leid, Gewalt, sexuellem und psychischem Missbrauch geworden sind oder in ihrem Leben andere quälende und erniedrigende Erfahrungen machen mussten, wohl kaum. Aber auch die Spekulation darüber, ob Gott eine andere, eine bessere Welt hätte schaffen können, nicht. Letztlich bleibt nicht viel mehr als die gläubige Hoffnung, dass Gott sich am Ende des Lebens angesichts des Leids so vieler Menschen dafür rechtfertigen muss, warum er es zugelassen und nicht verhindert hat oder welche Rolle er auch immer in der Leidensgeschichte eines Menschen gespielt hat.

In diesem Zusammenhang beeindruckt und berührt immer wieder ein Text des litauischen Juden Zvi Kollitz, "Jossel Rakovers Wendung zu Gott". Diesen fiktiven Monolog verfasste Kollitz kurz nach dem zweiten Weltkrieg und dem Schrecken der Shoah. Jossel Rakovers, ein Jude im Warschauer Ghetto kurz vor dem Scheitern des dortigen Aufstandes, der seinem Tod ins Angesicht sieht, wendet sich in beeindruckender Weise an seinen Gott: Mitten in der Katastrophe der Shoa bekennt er sich zu seinem Glauben an Gott und seine Gesetze, auch wenn er seine Taten nicht rechtfertigen kann, wie er sagt. "Ich habe Ihn lieb. Doch Seine Thora habe ich lieber. Selbst wenn ich mich in Ihm getäuscht hätte, Seine Thora würde ich weiter hüten. Gott heißt Religion. Seine Thora aber bedeutet eine Lebensweise!"" Und so erlaubt Jossel Rakovers es sich, Gott zur Rede zu stellen. Jossel Rakovers hält Gott quasi seine eigene Thora unter die Nase und erinnert ihn an das, was er selbst geoffenbart hat. Was soll denn noch geschehen? Schlimmer kann es für das jüdische Volk doch nicht mehr werden. "Nun sagst Du vielleicht", so setzt Jossel Rakovers seine Wendung an Gott fort, "daß es jetzt keine Frage von Sünde und Strafe ist, sondern daß es eben so ist, wenn Du Dein Gesicht verhüllst und die Menschen ihren Trieben überläßt? Dann will ich Dich aber fragen, Herr, und diese Frage brennt in mir wie ein verzehrendes Feuer: Was noch, oh, sag es uns, was noch muß geschehen, damit Du Dein Gesicht vor der Welt wieder enthüllen wirst? Ich will Dir klar und offen sagen, daß wir (...). die Gepeinigten, die Geschändeten, die Erstickten, die lebendig Begrabenen und lebendig Verbrannten, wir, die Gedemütigten, die Verspotteten, die Verlachten, die zu Millionen Umgebrachten -, dass wir jetzt mehr als je zuvor das Recht haben zu wissen: Wo liegen die Grenzen Deiner Geduld?"

Diesen Fragen wird Gott sich stellen müssen. Mehr kann die Theologie zur Frage, warum Unschuldige leiden müssen, kaum sagen, als diese Erwartung an Gott zu formulieren - in der Hoffnung, dass er sie einmal erfüllen wird. Jossel Rakovers erwartet eine Antwort Gottes, wie er am Ende seines Monologs festhält. Seinen Glauben lässt er sich von Gott nicht nehmen: "Ich bin Ihm nachgegangen, auch wenn Er mich von sich gestoßen hat. Ich bin Seinen Geboten gefolgt, auch wenn Er mich dafür geschlagen hat. Ich habe Ihn leibgehabt (...), auch wenn Er mich bis in den Staub erniedrigt, zu Tode gepeinigt, Gespänt und Schande preisgegeben hat. (...) Und das sind meine letzten Worte an Dich, mein zorniger Gott. Es wird Dir gar nichts nützen! Du hast alles getan, dass ich an Dir irre werde, dass ich nicht an Dich glaube. Ich sterbe aber, wie ich gelebt habe, als unbeirrbar an Dich Glaubender." (Die Zitate entstammen Zvi Kollitz, Jossel Rakovers Wendung zu Gott. Jiddisch-Deutsch, aus dem Jiddischen übertragen, herausgegeben und kommentiert von Paul Badde, Zürich 2004, 73-79; 95-101)

 

"Gott sah, dass es gut war" - so ist auf der ersten Seite der Bibel, in der ersten Schöpfungserzählung des Buches Genesis, am Ende jedes Schöpfungstages zu lesen. Aber wenn Gott gut ist und alles gut erschaffen hat - woher kommt dann das Böse? Gibt es einen Teufel als Gegenspieler Gottes? Diese Fragen beschäftigen die Menschen, solange es Religionen gibt, und in der religiösen Tradition gibt es viele Antwortversuche auf diese Menschheitsfragen.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden sich intensiv mit der Frage nach dem Ursprung des Bösen auseinander setzen und verschiedene Antworten kennenlernen. Dabei wird auch zu fragen sein, warum Gott das Leid seiner Schöpfung und seiner Geschöpfe offensichtlich zulässt.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0