Urchristentum als Modellkirche?!

Im Rahmen einer Studienwoche des Theologischen Fernkurses der Domschule Würzburg zum Thema "Paulus und die Anfänge der Kirche"  diskutierte ich am 13. November 2019 bei einem Studientag im Liudgerhaus in Münster mit einer engagierten Seminargruppe darüber, ob man vom Urchristentum als Modellkirche sprechen kann oder nicht. Die Frage ist nicht leicht zu beantworten und hängt nicht zuletzt davon ab, wie man Urchristentum definiert und was man unter einer Modellkirche versteht. Davon abgesehen ist es fraglich, was sich kirchengeschichtlich gesichert überhaupt über ein Urchristentum sagen lässt. Denn unser Bild vom Urchristentum ist zum einen von den neutestamentlichen Schriften und zum anderen von Eusebius von Caesarea geprägt, der im 4. Jh. als erster Autor eine "Kirchengeschichte" vorgelegt hat. Beide Quellen sind von ihrem historischen Wert her aber nur bedingt geeignet, verlässliche Auskünfte über das Urchristentum zu geben; vielmehr sind sie entscheidend von der "Brille" geprägt, mit der ihre Autoren auf die Frühgeschichte des Christentums blicken. Daher ist es kaum möglich, verlässliche Aussagen über das erste nachchristliche Jahrhundert zu machen, das aber gemeinhin als "Urchristentum" gilt. Ein Christentum als eigenständige Religion wird erst im 2. Jahrhundert nach Christus wirklich greifbar.

Gleichwohl besitzen die neutestamentlichen und frühen nachneutestamentlichen Schriften im Sinn einer Bezeugungsgeschichte christlichen Glaubens einen immensen Wert, können sie doch als die frühesten Zeugnisse christlichen Glaubens gelten. Aus ihnen spricht die Vitalität und Vielfältigkeit des Anfangs christlichen Glaubens, die im Laufe der Geschichte einer stärkeren Vereinheitlichung und Uniformität gewichen sind. Insofern können die Anfänge christlichen Glaubens wichtige Impulse bieten, wenn es darum geht zu bestimmen, was christliche Identität ausmacht und was nicht. Wenn sich kirchengeschichtlich also auch kein genaues Bild eines Urchristentums mehr geben lässt, so ist es doch eine Kernaufgabe kirchenhistorischer Forschung, in der Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Bezeugungen der Anfänge christlichen Glaubens nach dem Kern der Botschaft Jesu und dem Wesenskern christlicher Identität zu fragen und kirchengeschichtliche Entwicklungen daran zu messen. Somit können die Anfänge christlichen Glaubens in der Tat Modellcharakter haben, wenn sich auch kein Urchristentum als Modellkirche rekonstruieren lässt.

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